Wo jeder Fußbreit Boden Geschichte erzählt

Vergangene Welten und unberührte Natur – der Klein-Balaton offenbart nicht nur denjenigen seine Wunder, die Ruhe im Grünen suchen, sondern birgt auch zahlreiche Spuren längst vergangener Zeiten.

Foto: Veronika Noé | Wundererbarer Balaton

Wer das Naturschutzgebiet Klein-Balaton ansteuert, und die Westspitze des Plattensees über Sármellék verlässt, überquert auf der Landzunge zwischen den beiden Stauseen des Klein-Balaton das Dörfchen Zalavár.

Foto: Veronika Noé | Wundererbarer Balaton

Der sprechende Name des Dorfes (vár heißt Burg auf Ungarisch), das im Laufe der Geschichte die ganze Zeit bewohnt und von besonderer Bedeutung war, läßt auch heute noch darauf schließen, dass hier einst eine Burg stand, die die Essenz des Verwaltungssystems nach der Staatsgründung bildete. Heute warten hier viele Steinhaufen darauf, von Entdeckungslustigen erkundet zu werden.

Das breite Tal der Zala und der Plattensee, der einst bis hier seine Wellen schlug, boten seit jeher ideale Lebensbedingungen für die Völker, die dieses Gebiet ihre Heimat nannten. Die erste, mit Schanzen und Graben befestigte Siedlung dieser Gegend, die dank ihres milden Mirkoklimas reich an Wild und Fisch war, wird auf das 3. Jahrhundert vor Christus datiert, und stand beim heutigen Balatonhídvég.

Das Gebiet war später als Provinz Pannonia durch die Handelswege in den Kreislauf des Römischen Reiches eingebunden. Unweit von hier verlief die Bernsteinstraße und im 4. Jahrhundert errichteten die Römer eine riesige Festung mit 44 Rundtürmern im heutigen Fenékpuszta bei Keszthely, deren Ruinen heute noch ihre gigantischen Maße erahnen lassen. Später kamen Hunnen, Goten, Langobarden und Avaren, die hier ihr Reich hatten.

Foto: Veronika Noé | Wundererbarer Balaton

In Zalavár selbst, wo die Grundschule auch heute noch nach den Slawenapostel Kyrill und Method benannt ist, wurden die beiden Bibelübersetzer in Stein gemeißelt. Ihre Statuen stehen auf jener Vársziget (einst Burginsel), die sie als Missionare im 9. Jahrhundert zum Zentrum des christlichen Glaubens und der slawischen Schritfsprache machten. Vor der Landnahme durch die ungarischen Stämme galt die Burginsel bei Zalavár (damals Mosaburg) als der dichtbewohnteste Ort der ganzen Landschaft.

Es gibt heute noch zahlreiche Ortsnamen, die uns ansprechen, wenn wir zuhören. Nach der Landnahme teilten die Magyaren-Stämme die Gegend untereinander auf, und ein Großteil der heutigen Plattensee-Gegend gehörte Kál, dem drittbedeutendsten Heerführer, der um die Westspitze des Plattensees seine Sommer- und Winterlager hatte. Darüber erzählen die Ortschaftsnamen des bezaubernden Káli-Beckens auf dem Nordufer des Plattensees. Das Frankenzentrum Mosaburg, das heutige Zalavár, existierte noch eine Weile neben den Siedlungen der Magyaren – Örs, Berény und Besenyő kennen wir heute als Vörs, Balatonberény und Balatonszentgyörgy.

In der Zeit der Reichsgründung unter Stephan I. war das heutige Komitat Zala die letzte bewohnte Gegend vor der westlichen Grenzschutzlinie. Von den insgesamt 44 gegründeten Komitaten war das heutige Zala unter den ersten Grenzkomitaten, 1009 das erste mal urkundlich erwähnt.  Damals hieß es nach dem ersten bestellten Gespan Kolon, und die sprechenden Flurnamen erzählen heute davon, dass der Sitz irgendwo bei Balatonmagyaród, am Klein-Balaton war. Erst später wurde der Komitatssitz nach Zalavár verlegt, wo zu dieser Zeit bereits ein Bendiktinerkloster auf der Burginsel stand. Die Burginsel wurde befestigt, die Burg selbst wird erst 1164 schriftlich erwähnt, und wurde nach der schriftlichen Überlieferung 1702, nachdem sie als Grenzburg ihre Funktionen verlor, auf Befehl von Kaiser Leopold gesprengt.

Herrlich viel Geschichte für diese Gegend, die heute für ihre unberührte Natur bekannt ist. Da stellt sich die Frage, was man denn von all dem hier entdecken kann?

Foto: Veronika Noé | Wundererbarer Balaton

Wenn man Zalavár verlässt und den Schildern zum Klein-Balaton Ausstellungshaus folgt, fährt man mit etwas Glück direkt nach dem Ortschild an der weidenden Büffelherde vorbei, und einige kleine Kurven weiter berichtet ein unauffälliges Schild davon, dass hier auf dem nassen Feld einst eine Basilika stand. Über die winzige Holzbrücke gelangt man auf einen stets sauber gemähten Fussweg, der so unter dem grünen Bogen von Baumkronen führt, als schreite man direkt durch die Katedrale der Natur.

Foto: Veronika Noé | Wundererbarer Balaton

Nach einem kurzen Spaziergang gelangt man zu den Ruinen der Basilika. Die etwa 20 Meter lange dreischiffige Kirche ragte einst auf einer kleinen Insel aus dem Sumpfland empor, und bot zu ihrer Zeit mit Sicherheit einen imposanten Anblick. Im Sommer ist es ein einmaliges Gefühl, barfuß auf dem Überbleibsel der großen Granitplatte zu stehen, der einst den Boden der Katedrale bedeckte.

Foto: Veronika Noé | Wundererbarer Balaton

Zurück auf der Straße, einige Meter weiter auf der anderen Straßenseite, kann man schon das Gebäudenkomplex des Klein-Balaton Ausstellungshauses erkennen, und die Silhouetten von etwas, was zugleich als eine Art Jurte und eine Kirche aussieht.

Foto: Veronika Noé | Wundererbarer Balaton

An diesem Ort, im engsten Sinne des Wortes einen Steinwurf vom Klein-Balaton entfernt, steht man auf der einstigen Burginsel, wo heute alles ineinanderfließt: neben den Spuren längst vergananen Epochen fanden hier nicht nur das Milleniumsdenkmal und Kyrill und Method ihren gebührenden Platz, sondern auch das Ausstellungshaus mit Café und Wasserspielplatz. Ein idealer Ort für eine Jause, bevor man die Ausstellung über Vorfahren und Natur erkundet. Das Ausstellungshaus bietet interaktiven Einblick selbst in solche streng geschützte Gebiete, die nur durch schwenkbare Webkameras kennenzulernen sind.

Man würde nie vermuten, wenn man hier nur vorbeifährt, wie reich dieser kleine Stück Boden, der einst eine durch Erdschanzen befestigte Insel war, an historischen Schätzen ist. Funde aus der Zeit der Karolinger, der ungarischen Stämme, der Árpáden und des Spätmittelalters kommen hier bei Ausgrabungen immer wieder ans Tageslicht. Es gibt hier Kirchenruinen, Befestigungen, Überreste einer Bierbrauerei und einen uralten Brunnen.

Die Ruinen hinter dem jurtenartigen Milleniumsdenkmal, das einen Lebensbaum birgt, mit je einem Blatt für jede Ortschaft im Komitat, sowie die 7 gebauten und die 7 Naturwunder des Komitats, stand einst eine der größten Pilgerkirchen Mittel-Osteuropas. Die Kirche hatte mehrere Geschosse, eine Stollenkrypta, Marmorschnitzereien und Reliefe sowie bunte Bleiglasfenster.

Foto: Veronika Noé | Wundererbarer Balaton

Nach den vielen Informationen zu Geschichte und Natur tut ein leckerer Kaffee gut. Und dann kann man sich auch in den Sattel schwingen, und die einzige, Besuchern geöffnete Insel im Klein-Balaton mit dem Leihrad entdecken.

Ein wunderbares Programm für einen schönen, bunten Herbsttag.

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